Andacht zum 2. Sonntag nach Ostern Misericordias Domini

Sat, 17 Apr 2021 22:00:03 +0000 von Annika Köllner

Text: Pastorin Anne Stucke
Musik: Kantorin Annika Köllner

1) Des Herrn Wort geschah zu mir:
2) Du Menschenkind, weissage gegen die Hirten Israels, weissage und sprich zu ihnen:
10) So spricht Gott der Herr:
„Wehe den Hirten Israels, die sich selbst weiden!
Sollen die Hirten nicht die Herde weiden?“
So spricht Gott der Herr:
Siehe, ich will an die Hirten und will meine Herde von ihren Händen fordern;
ich will ein Ende damit machen, dass sie Hirten sind, und sie sollen sich nicht mehr selbst weiden.
Ich will meine Schafe erretten aus ihrem Rachen, dass sie sie nicht mehr fressen sollen.
11) Denn so spricht Gott der Herr:
Siehe, ich will mich meiner Herde selbst annehmen und sie suchen.
12) Wie ein Hirte seine Schafe sucht, wenn sie von seiner Herde verirrt sind,
so will ich meine Schafe suchen und will sie erretten von allen Orten,
wohin sie zerstreut waren zur Zeit, als es trüb und finster war.
13) Ich will sie aus den Völkern herausführen und aus den Ländern sammeln und will sie in ihr Land bringen und will sie weiden auf den Bergen Israels, in den Tälern und wo immer sie wohnen im Lande.
14) Ich will sie auf die beste Weide führen, und auf den hohen Bergen in Israel sollen ihre Auen sein; da werden sie auf guten Auen lagern und fette Weide haben auf den Bergen Israels.
15) Ich selbst will meine Schafe weiden, und ich will sie lagern lassen, spricht Gott der Herr.
16) Ich will das Verlorene wieder suchen und das Verirrte zurückbringen und das Verwundete verbinden und das Schwache stärken und, was fett und stark ist, behüten; ich will sie weiden, wie es recht ist.
31) Ja, ihr sollt meine Herde sein, die Herde meiner Weide, und ich will euer Gott sein, spricht Gott der Herr.
(Hesekiel 34, 1.2.10-16.31)
 
Liebe Leserin, lieber Leser,

was Sie gerade gelesen haben, ist eine Abrechnung.
Gott selbst rechnet mit den Hirten des Volkes Israel ab!

Die Priester, die politisch und gesellschaftlich Verantwortlichen, bekommen ihr Versagen vorgehalten: Ihr seid Hirten, die nicht ihre Herde, sondern sich selbst geweidet habt!
Euch geht es nicht um die Schafe, die man euch anvertraut hat, sondern um euer eigenes Wohlergehen.
Statt die Herde zu schützen, fresst ihr sie selber auf.

Ihr seid Versager in eurem Amt, nein, noch schlimmer: Ihr seid Verbrecher, die das Vertrauen missbrauchen, das man euch entgegen gebracht hat.  

Da könnten wir jetzt richtig in Fahrt kommen, nicht wahr?

Denn was Hesekiel vor zweieinhalbtausend Jahren geschrieben hat, kann man auch heute manchen Menschen vorhalten:

Da gibt es Politiker, die jedes Maß verloren haben und sich an dubiosen Maskengeschäften bereichern.

Manager, die kriminell agieren und dennoch hohe Abfindungen und Boni kassieren.

Auch Geistliche, die von Missbrauchsfällen gewusst, sie vertuscht haben und nicht den Opfern geholfen, sondern die Täter gedeckt haben.

Das sind Hirten, die diesen Namen nicht verdienen, weil sie ihrem Auftrag in keiner Weise gerecht geworden sind.

Vor diesem Hintergrund ist die Ankündigung des Hesekiel ein Wohlklang: 

„So spricht Gott der Herr: Siehe, ich will an die Hirten und will meine Herde von ihren Händen fordern; ich will ein Ende damit machen, dass sie Hirten sind, und sie sollen sich nicht mehr selbst weiden. Ich will meine Schafe erretten aus ihrem Rachen.“   

Wie sieht denn nun aber die Qualifikation für einen guten Hirten aus?

In einer Stellenbeschreibung für einen Schäfer, eine Schäferin habe ich folgendes gelesen:

 „ Die Hauptsache ist die Freude und die Neugier am Umgang mit den Tieren, sowohl mit den Hunden wie auch mit den Schafen. Dazu kommt Verantwortungsbewusstsein, allgemeine Naturverbundenheit, ein wenig Abenteuerlust, Freiheitsliebe und keine Angst vor einsamen Nebeltagen.“

Mit anderen Worten: man muss ganz da sein, mit offenen Augen, ganzem Herzen, tatkräftigen Händen.
Im Leben von Hirten gibt es keine Zeiten, in denen man sagen kann: Ach, ich bin müde, das Wetter ist zu schlecht, die Gefahr durch Wölfe ist zu anstrengend.

Wer sich entscheidet, Hirte oder Hirtin zu werden, der muss Liebe und Leidenschaft für diesen Beruf mitbringen, der braucht Geduld, Kraft und Ausdauer.

Es verwundert darum nicht, dass Hesekiel das Bild des Hirten gewählt hat, um uns zu sagen, wie Gott ist.
Der Prophet kündigt uns einen Gott an, der nicht müde wird; der sich an die Menschen bindet; dessen besondere Liebe dem Kleinen und Schwachen gilt;
der zornig wird, wenn das, was er ins Leben gerufen hat, missachtet und bedroht wird:
„Ich will das Verlorene wieder suchen und das Verirrte zurückbringen und das Verwundete verbinden und das Schwache stärken und, was fett und stark ist, behüten“.
Das ist eine der schönsten Zusagen, die die Bibel uns schenkt.

Ich stelle mir Gott vor, wie er ständig in Bewegung ist, immer wachsam, mit behütenden Augen. Tatkräftig, voller Energie, ganz nah bei uns, seinen Geschöpfen. Mit starken Händen, die gleichzeitig behutsam, gar zärtlich, festhalten, wenn es sein muss.
Wie Gott, der Hirte, mit einem liebevollen Blick die Herde ansieht.

Meine Herde, sagt Gott, besteht aus euch, die ihr hier in der Welt seid.
Und aus denen, die schon bei mir sind, in der anderen Welt.
Ich halte euch zusammen und niemand geht verloren: Ihr seid eins, meine Herde.

Was für ein Zusage: Wir bleiben mit denen verbunden, die nicht mehr bei uns sind, die wir aber immer noch lieben.
Gottes Liebe ist das Band, das uns verbindet, auf welcher Seite wir auch sind.

„Ich will Verwundetes verbinden und das Schwache stärken“.

Wenn Gott das sagt, dann können wir davon ausgehen, dass wir nicht mit einem Trostpflaster abgespeist werden und nicht mit einer Wundersalbe.

Gott hat die Wunden vor Augen, die tief sind, die dort sind, wo man sie nicht sieht.
Gott ist und bleibt ganz nah an unserer Seele und schenkt ihr seinen Atem des Lebens, der den Schmerz wegpusten möge.

Gottes wunderbare und tröstliche Zusage  lesen und hören wir heute, am
2. Sonntag nach Ostern, mit der er sich uns als der Gute Hirte vorstellt.

Eine Zusage, die alles umfängt: Schwaches und Starkes, Wunden und Heilung,
Tod und Leben.
Und mittendrin Gott als Hirte, mit Stecken und Stab. Mit Freude an der Schöpfung, an uns Menschen, unseren Mitgeschöpfen.
Ohne Angst vor einsamen und nebligen Tagen.
Mit Eifer und Zorn, wenn die Herde bedroht wird.
Mit Liebe und Güte, wenn er selbst sie wieder zusammenführt.

Gott sieht uns an mit zärtlichem Blick und spricht: „Ja, ihr sollt meine Herde sein, die Herde meiner Weide, und ich will euer Gott sein.“
Amen.
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